Am 9. August 02 segeln wir endlich wieder mal auf dem heimischen Maschsee. Für diesen ganz besonderen Tag hat uns die Segelschule Maschsee Nord einen „Flying Fish“ kostenlos zur Verfügung gestellt – unsere Lernjolle. Als wir ablegen strahlt das Wetter mit unserer guten Laune um die Wette. Vorsichtig rutschen wir aufs Wasser. Bloß nicht nass werden und auf gar keinen Fall dürfen wir kentern, wir würden uns bis auf die Knochen blamieren. Sabine sieht in ihrem maßgeschneiderten Hochzeitskleid wirklich bezaubernd aus und den Braut-strauß legt die hübsche Vorschoterin selbst bei der Wende nicht aus der Hand. Der Bräutigam an der Pinne, ebenfalls elegant und für seine Verhältnisse sündhaft teuer verkleidet, hat das Bootshaus bereits fest im Blick. Dort, zum Bootssteg, haben wir unsere Hochzeitsgäste eingeladen. Sie sollen dabei sein, wenn wir „in den Hafen der Ehe segeln“.

Was für ein Tag. Heute Morgen haben wir Segeleinsteiger unseren Heiratsantrag vom Steinhuder Meer standesamtlich eingelöst. Viele unserer Freunde haben nach der Trauung vor dem Standesamt gratuliert, der „KSD-Chor“ „My Way“ und andere Lieder veredelt und wenig später gab es einen maritimen Sektempfang an der Segelschule. Unsere SKS-Freunde verlangten uns öffentlich einige Knoten ab, bevor ich meine Frau „über die Schwelle“ des gecharterten Maschseedampfers hieven durfte. An Bord der „Europa“ nahmen wir für kurze Zeit gemeinsam das Steuer in die Hand, meine frisch angetraute Schwieger-mutter spielte Shanties auf dem Schifferklavier und jetzt am späten Nachmittag sind wir mit der Jolle unterwegs in den Hafen der Ehe.

Ca. 300 m vor dem symbolträchtigen Hafen traue ich meinen Augen nicht. An die 20 bunt verkleidete Kinder toben und johlen auf dem Steg herum. Heute ist unser Hochzeitstag und doch nicht Rosenmontag, schwant uns nichts Gutes. Das kann einfach nicht wahr sein, wie sollen wir da anlegen und wo sind unsere Gäste? Umdrehen? Nein, nein, noch ein bisschen dichter ran. „Guck mal am Stegkopf, das sind gar keine Kinder, dafür sind die viel zu groß“, erkennen wir beim näher kommen. „Das sind Piraten, die hab’n sich als Piraten verkleidet“, sind wir völlig aufgedreht. Ich öffne die Schot ein wenig, damit wir langsamer aufkommen. Dann falle ich probeweise ein bisschen ab und sofort reagieren die Piraten auf dem Steg mit Gejohle. Kein Zweifel, die meinen uns. Wenn wir in den Hafen der Ehe segeln wollen müssen wir wohl zuerst durch’s Fegefeuer. Eine andere Chance haben wir nicht. Tatsächlich, unsere Freunde haben tief in Fundus und Schminkkiste gegriffen, sogar eine Flüstertüte informiert die Gäste über unseren Kurs und hält die unbeteiligten Gäste in Schach. Diese Überraschung ist euch gelungen.

Jetzt erkennen wir die Piraten genau. Nein, nicht nur Jan und Claas und Hein und Pitt, auch viele Frauen kapern mit. Verwegene Gestalten allemal, sogar die Nachwuchskräfte sind dabei und die warten nur auf uns! So haben wir uns den Hafen* der Ehe nicht vorgestellt, aber nun können wir das Ende dieses kurzen Törns nicht mehr hinaus zögern und mit einem eleganten Aufschießer ergeben wir uns „freiwillig“ in die Hände der Piraten. Fast noch mit der Vorleine in der Hand wird meine Vorschoterin von einem einarmigen Banditen, dem anstelle der Hand ein Eisenhaken angewachsen ist, vom Boot gezerrt und sofort setzt ein Geschrei und Gebrüll ein. Die entführen ja meine Braut, wird mir schlagartig klar. Sabine wird mit ihrem Brautstrauß sanft in ein Ruderboot gedrängt, aber ihre verzweifelte Geste in meine Richtung schürt meinen Widerstand. Kampflos kriegt ihr die nicht! Inzwischen haben mich die finsteren Gestalten aus der Jolle auf den Steg gelassen, aber an diesen betrunkenen Schurken komme ich einfach nicht vorbei. Unter ihnen entdecke ich, ganz in meiner Nähe Frank, der das Boot zur Segelschule zurück segeln will. Frank ist also kein Pirat, aber ist er deshalb auf meiner Seite? Mal seh’n, vielleicht haben wir zu zweit eine Chance…

Ein Augenzwinkern und Frank hat verstanden. Er kommt ganz nah zu mir und plötzlich stoßen wir das Boot ab, springen in die Jolle und jagen das Ruderboot. Sofort entsetzliches Geschrei auf dem Steg, „...haltet sie!!!“, aber damit haben wir sie überrascht. Ein paar schnelle Wenden und wir haben das Ruderboot mit der gekaperten Braut vor uns. Als die Piraten die Verfolgung bemerken, drehen sie schnell ab und versuchen, sich mit hoher Schlagzahl an den Steg zu retten, während die johlende Meute eine für diesen Überfall gecoverte Variante von „Wir lagen vor Madagaskar“ anstimmt. Eine Zumutung.

Leider gewinnt das Ruderboot die Schlacht auf dem Wasser, weil wir zwischen den Stegen kaum Platz für Manöver haben, aber es war messerscharf. Auf dem Steg haben mich die Piraten sofort wieder in ihrer Gewalt und nur auf diesen Moment haben sie gewartet. „Was ich denn so bieten würde, um die Braut auszulösen“, werde ich immer wieder bedrängt, aber ich habe keine Idee was die von mir wollen. Mir fällt absolut nichts ein und die Minen meiner Bewacher werden finsterer, der Griff fester. Doch die Täter-Opfer-Beziehung gerät aus dem Gleichgewicht, als mir vorsichtig ein Tipp zugeflüstert wird, den ich lautstark wiederholen muss: „Frei Saufen und frei Fressen für alle und für euch da hinten auch“, nehme ich Kontakt zu den übrigen Hochzeitsgästen am Ufer auf. Ein Riesengejohle setzt daraufhin ein, zwei Nachwuchspiratinnen gehen vor Freude baden und ich darf meine Braut wieder in den Arm nehmen. Wir sind im Hafen der Ehe angekommen. Seglerherz, was willst Du mehr.

Am späten Abend beantwortet die sechsjährige Lara eine an die Gäste gestellte Quizfrage, wohin denn die Hochzeitsreise von Sabine und Ralf gehen soll, auf ihre Weise: „An die Schleier“ und dieses Segelrevier kennt wohl jeder – oder?


*Übrigens,…

„…wer in den Hafen der Ehe segeln will, sollte vorher eine Hafenrundfahrt machen“, gibt ein anonymer Fachberater im Internet einen hervorragenden Tipp. Warum sind wir seinem Rat nicht gefolgt?