Samstag, 05. Juni
 
Crew: Frank, Martin, Andreas, Ralf

Wetter: 3 – 4 Bft. NNW, 996 hPc

Wir haben bei Aldi in Schulenburg eingekauft, holen in Lübeck für 11 € einen eBay-Pflugscharanker von der Teerhofinsel ab, essen im Seestern (Heiligenhafen) frischen Fisch und Frank trifft zufällig auf unserem Steg "seinen letztjährigen Skipper" der "Xanadu" vom Hansecup wieder - unser neuer Stegnachbar von gegenüber. Am nächsten Morgen gehen wir an Bord endlich die Position durch, die ein Skipper kennen muss. Nach der Sicherheitseinweisung interpretieren wir den Wetterbericht und leiten daraus die Empfehlung für einen Törn in die Wismarbucht ab. Da dies für alle Neuland ist, greifen wir diese Idee gern auf. Kirchdorf wär' schön, geht es mir durch den Kopf, nachdem ich vor ein paar Tagen "Expedition Wiking Saga" von Burghard Pieske gelesen habe. Hat doch Burghard Pieske seine "Wiking Saga" in Kirchdorf bauen lassen.
    

Die Crew: Martin, Andreas, Frank und der Fotograf Ralf ist hier mal nicht zu sehen

Um 10.15 Uhr laufen wir aus, setzen bald Groß und Genua, passieren die Fehmarnsundbrücke, flehen nach mehr Wind, doch unsere Gebete werden nicht erhört und Kirchdorf ist noch weit - Motor an. Nach 7 sm versuchen wir es wieder mit Groß und Genua, aber wenig später verlässt uns der Wind erneut - Flaute. Also testen wir das "neue" Beiboot, das sich bei günstigen Bedingungen gar nicht so kinderleicht aufbauen lässt, wie es die Werbeträger versprechen. Allein ist das beinahe unmöglich, also zerren, ziehen und drücken zwei Seeleute die Seiten auseinander damit die Duchten eingeschoben und durch Splinte gesichert werden können. Nach ca. 20 Minuten ist es geschafft und "Kalamini" schwimmt, lässt sich rudern und als ich die Leine löse, bin ich im Beiboot allein auf der Ostsee. Die Fotos könnten auch aus den Doldrums sein.

   
Um 13.00 Uhr haben wir "Kalamini" wieder verstaut und mit dem eisernen Segel verlassen wir die "Doldrums" südlich Fehmarn, bevor wir nach 22 sm, bei 2 Bft. aus NNW endlich wieder "segeln". Wir passieren den Lübeck - Gedser - Weg und haben die Wismarbucht voraus. Aus dem flachen Landstrich an Backbord wächst eine Steilküste, werden Baumgruppen und ein Strand erkennbar, der scheinbar der ganzen Insel vorgelagert ist. Über das Offentief, das ist die westliche Ansteuerung, haben wir bald den 1872 gebauten markanten Leuchtturm und die Mole von Timmendorf-Strand querab, den uns wieder das WSA vorstellt:
    

Leuchtturm Timmendorf

Der auf der Westseite der Insel Poel errichtete Leuchtturm bezeichnet mit mehreren farbigen Sektoren, zusammen mit Richtfeuern und Tonnen, das mehrfach die Richtung wechselnde Fahrwasser zum Hafen Wismar, vorbei an den Untiefen "Hannibal" und "Lieps" sowie an den Inseln Poel und Walfisch. Der als Ersatz für eine etwa 16 m hohe besteigbare hölzerne Spierenbake inmitten des damaligen Lotsenhauses errichtete Leuchtturm wurde wie die Spierenbake nicht nur als Navigationshilfe sondern auch als Lotsenausguck genutzt.

Ursprünglich runder, weißer Turm mit einer Galerie im Bereich des Lotsenhauses; auf rechteckigem Unterbau. Weiße sechseckige Laterne mit roter Kuppel. 1930/31 Erhöhung des runden Turmteiles mit rotbraunem, ungeputzten Ziegelmauerwerk, Anbau einer Stahl-Außentreppe in diesem Bereich und Neubau der nun runden Laterne. 1931 wurde das mit einer Petroleumlampe betriebene Leuchtfeuer mit einer Gürtellinse und elektrischer Lichtquelle ausgestattet. Im Zuge einer umfangreichen Grundinstandsetzung mußte 1996/97 der Turm teilweise abgetragen und nach einer Stabilisierung der Gründung neu aufgemauert werden.

Überhaupt Poel. Anfang der neunziger Jahre hatte ich die Insel einmal aus der Ferne gesehen. Ben, Christoph und ich waren mit dem Fahrrad - aus Hannover kommend - vom Schweriner See nach Rerik unterwegs. Damals wie heute wusste ich nichts von der wechselvollen Geschichte, nichts davon, dass die Insel vermutlich häufiger besetzt wurde als sie Einwohner zählte (heute sind es 2.900). Ich bin erstaunt, dass Poel erst 1903 von der schwedischen Krone nach Mecklenburg zurückkehrt und noch am 3. Mai 45 sowjetische die britischen Truppen verdrängen. Ich habe keine Ahnung von alten Gutshäusern und Bauernhöfen, Alleen mit Kopfsteinpflaster und der alten Schlosswallanlage, deren Hauptgebäude im 30-jährigen Krieg zerstört wurde, deren Schanzen aber immer noch von der wechselvollen Geschichte der Insel berichten.

Inzwischen habe ich bei den Poelern nachgelesen, www.insel-poel.de: "Irgendjemand hatte in den letzten Jahrhunderten - und selbstverständlich auch davor schon - immer großes Interesse an unserer Insel. Meistens haben sich deutsche und schwedische Könige sowie Fürsten, Generäle und Marschälle um unser Eiland gestritten. Grund dafür ist die strategisch hervorragende Lage Poels. Die Schweden nutzen während des 30-jährigen Krieges Poel und die klitzekleine vorgelagerte Insel namens “Walfisch” zur Verteidigung ihres Brückenkopfes. Die Hanse war vorher ebenso eifriger Nutzer der Insel und der Kirchsee wie die Gruppe der „Vitalienbrüder“ um Klaus Störtebeker...

Der Nationalen Volksarmee der DDR war die (hoffentlich) letzte militärische Nutzung Poels vorbehalten. An der Steilküste zwischen Timmendorf und dem Schwarzen Busch lagen die Horchposten in Richtung Westen. In der Zeit von 1903 bis 1990 lebten die Poeler unter sechs Flaggen. Der schwedischen Staatszugehörigkeit (1903) folgte das Deutsche Kaiserreich (1918), dann die Weimarer Republik (1933) und das Dritte Reich (1945), gefolgt von der Deutschen Demokratischen Republik (1990) und der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Und es gab Poelerinnen und Poeler, die alle Staatsformwechsel miterlebt haben".

Zurück in die Gegenwart. Um 18.15 Uhr schläft der Wind wieder ein und nach 31 sm sorgt die Maschine erneut für den Vortrieb. Aber wo ist das Fahrwasser nach Kirchdorf, fragt sich die Crew, die vom Volvopenta eigentlich nichts mehr hören will, während wir die "Feldmark" genannte Kornkammer der Insel an Backbord lassen. Dann wieder Naturstrand mit Anglern, einem Liebespaar, Kormoranen, Gänsen, Schwänen sowie am Rustwerder Haken das Naturschutzgebiet "Fauler See". Salzwiesen und ein sumpfiges Gelände ermöglichen hier seltenen Pflanzen und Tieren das Überleben. Richtung Wismar sehen wir die Vogelschutzinsel "Walfisch" an Steuerbord. Am "Walfisch" haben zwar keine Walfänger, dafür aber Wind und Brandung so stark genagt, dass von der namengebenden Form nicht mehr viel übrig blieb. Wir folgen schließlich einem Ausflugsdampfer in die "Kirchsee", Poels fjordähnlicher Bucht, dessen markiertes Fahrwasser ins Zentrum der Insel führt.

Wer sich wie wir von Süden her nähert, erblickt schon von Weitem die Inselkirche mit dem 47 m hohen Turm, der eine hervorragende Landmarke abgibt. Das in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erbaute Gotteshaus, zeugt von der überaus wechselvollen Geschichte der Insel. Eine so beeindruckende Annährung gibt es auf keinem Landweg. Die Crew ist von der Ruhe, von dem satten Grün, dem tiefen Blau der Kirchsee und der friedlichen Stimmung so beeindruckt, dass "Kalami" sich beinahe andächtig leise dem Hafen nähert. Längst haben wir den Hafenplan "fotografiert", weil wir mit unseren 1,50 m Tiefgang nicht überall reinpassen. Ganz vorsichtig nähern wir uns dem Steg, der gar nicht näher kommen will. Also gebe ich mehr Speed, doch der Steg bleibt wo er ist - wir sitzen fest! Ganz sanft sind wir in den Schlick gerutscht und sind mit einem Schub rückwärts auch gleich wieder frei. Vom Steg aus weist uns der Hafenmeister einen Platz längsseits eines Traditionsseglers zu - hier ist es tief genug und nach 38,6 sm sind wir um 19.40 Uhr in Kirchdorf fest.

 

"Kalami" ganz fest und ganz friedliche Stimmung in Kirchdorf (Poel)
    

Na klar finden wir Burghard Pieskes "Winking-Saga-Werft", erleben einen vorzüglichen Hafenmeister, gepflegte sanitäre Anlagen, finden ein tolles Fischrestaurant direkt am Hafen und sind überhaupt bester Stimmung. Ab 20.00 Uhr ist es ohnehin fantastisch in Kirchdorf, weil sich die Lage in den Restaurants entspannnt, nachdem der letzte Dampfer die Tagestouristen nach Wismar abgeschoben hat. Außer Fisch und guter Laune bekommen wir von der Insel leider sonst nichts mit. Die Zeit reicht einfach nicht.

Ein Wochentörn, vielleicht mit Neustadt, Wismar, Kirchdorf, Timmendorf und Travemünde wäre sicher ein Riesending.

Sonntag, 06. Juni, Kirchdorf (Poel) - Heiligenhafen

Wettervorhersage 3 – 4 Bft. SW...,

doch zunächst kommt der Wind mit 4 Bft. aus W, sodass wir bereits im Hafen die Segel setzen und nach dem Ablegen (9.25 Uhr) gleich durch die Kirchsee rauschen. Wenn das so weiter geht...
    

Der Kirchturm als Landmarke der Insel. Nach dem Ablegen gleich auf Halbwindkurs

... und vielleicht noch die Wolken verschwinden, aber den Gefallen tun sie nicht, wenigstens kommt die Sonne ab und zu mal durch, wir erreichen bei guter Sicht max. 18 Grad. Jetzt, nachdem alles seeklar ist und Kirchdorf achteraus liegt, holt mich eine Notiz aus dem Geschichtsbuch der Insel Poel wieder ein, die mich gestern Abend in eine andere Welt gebeamt hatte. Als ich darin las spürte ich, dass ich schon einmal hier gewesen sein muss, denn mit jedem Schritt veränderte sich meine Umgebung, tauchen von Ochsen gezogene Karren auf die Getreide zum Hafen fahren, werde ich immer wieder in fremden Sprachen angesprochen. Klar, russisch nach 45, ganz lange schwedisch, dänisch, natürlich das mecklenburger Platt und für eine kurze Zeit überraschend eine vertraute Sprache - weit zurück. Hannöversches Platt auf Poel? Natürlich will ich keinem Segler "Dönekens vertellen", aber vor rund 300 Jahren waren wir Hannoveraner schon einmal hier, okay nicht als Urlauber - auch wenn die schönsten Wochen des Jahres unser Geschäft sind (TUI). 1716 teilten sich nämlich Dänen, Preußen und Hannoveraner Poel als Basislager für die Belagerung Wismars, das am 20. April 1716 kapituliert, um nicht an Zar Peter I. zu fallen, der bereits vor Poel liegt.

Heute kann ich versichern - und so steht es auch im Logbuch - dass wir Hannoveraner jedenfalls am Vormittag des 06. Juni 2004 in friedlicher Absicht auf Wismar zuhalten, bevor wir unseren Kurs seewärts korrigieren können und aus der Wismarbucht kreuzen. Zwar beobachten wir argwöhnisch eine aufkommende Yacht und vergleichen immer wieder Echolot, Karte und den Kurs unseres Mitbewerbers um den "invisible Timmendorf Cup", damit wir bloß als erste Yacht den Leuchtturm passieren. Dabei bleibt es lange spannend auf der Kreuz, aber ob die "Konkurrenz" von unseren Ambitionen überhaupt was mitbekommt? Falls ja, werden sie sich freuen, der Cup geht an die schnellere Konkurrenz.

Inzwischen liegt rwK 350 an und der Wind kommt "natürlich" aus NW (also gegenan und nicht wie angekündigt aus SW). Und während Poel langsam im Kielwasser versinkt, taucht um 13.00 Uhr die Fehmernsundbrücke ganz fein am Horizont auf, die wir um 16.20 Uhr passieren. Zwischendurch verließ uns mal wieder der Wind, musste der Motor aushelfen und diesseits der Brücke fahren wir das erste Ankermanöver mit "Kalami" unter Segeln - das muss ja mal geübt werden. Was haben wir noch gelernt? Andreas brachte Windfäden an den Wanten an, beim Schleppen des Beibootes muss der richtige Abstand ermittelt werden, damit das Boot nicht vollschlägt (an Deck gefahren erspart man sich viel Ärger). Franks Logbuchführung wird ab sofort eingeführt und erstmals wird alle zwei Stunden das Wetter dokumentiert - das soll auch so bleiben.

Um 18.30 Uhr hat uns Heiligenhafen nach 39,8 sm wieder. Was für ein Wochenendtörn mit einer überraschend schönen Insel. Poel ist eine Reise wert - hätten wir nur Zeit gehabt.