Freitag, 22. Juni 07

Wetterbericht von gestern Abend: NW – W 7, in Böen 8 bis 9 Bft.

Ich dachte, es pfeift und klappert an diesem Morgen nur so, dabei ist beinahe andächtige Stille, die Sonne scheint und heute wird plötzlich doch ein schöner Tag. War da nicht was? „Schwere Unwetter sind über Südniedersachsen nach Brandenburg gezogen…“ höre ich im Radio und DP07 kündigt, Verzeihung, in diesem Fall passt das, eine Damenbrise für die westliche Ostsee an, dabei hatte ich gestern im vorauseilenden Gehorsam meinen Kolleginnen den Wochenendtörn abgesagt (siehe Wetterbericht oben).

Und Morgen wird in Dänemark Mittsommernacht gefeiert, da wollten wir doch hin. Sonnenklar, am 23. Juni zieht es alle Skandinavier raus ins Freie, um das Fest der Sommersonnenwende und die lange Helligkeit mit großen Feuern und Gesang ausgiebig zu feiern. Mit dem „Sankt Hans bål“, dem Johannisfeuer, werden nach altem heidnischem Brauch böse Geister und Hexen vertrieben. Ursprünglich zur Sommersonnenwende am 21. Juni gefeiert wird das Fest inzwischen immer auf den Samstag danach verlegt. Und noch was: Auf den meisten Feuern in Dänemark sitzt noch heute eine Strohhexe – ein aus Deutschland stammendes Symbol für die Vertreibung dunkler Mächte. Feierlicher Höhepunkt des Abends ist die so genannte Båltale, die "Feuerrede": Beschwor die "Feuerrede" einst die Kraft der Flammen gegen das Böse, nutzen die Festredner von heute die Gelegenheit, um in ironischer Form große oder kleine – nicht selten politische – Themen aufs Korn zu nehmen. Zum Johannisfeuer, dem „bål“, erklingt überall im Land das Lied des dänischen Dichters Holger Drachmann von 1885: „Wir lieben unser Land, jedoch am meisten zu Mittsommer.“ Dazu gibt es dem Volksfestcharakter entsprechend Livemusik, Spiel und Spaß für Groß und Klein, Würstchenbuden oder Bierausschank. Fast alle Veranstaltungen finden unmittelbar am Wasser statt – an den endlosen Stränden von Nordsee und Ostsee, an Fjorden oder Buchten (teilweise zitiert aus http://de.wikipedia.org/wiki/Mittsommerfest).

Klingt interessant. Gut, segele ich eben allein, mogelt sich ganz vorsichtig eine Idee auf die Seekarte, die mein Überich aber schnell wieder kassiert. Irgendwie habe ich Schiss, die knapp 30 Meilen rüber nach Bagenkop allein zu segeln. Also wird heute erst einmal aufgeräumt, sauber gemacht und repariert – Putz- und Flicktag eben, dann sehen wir weiter ... versuche ich mein Überich auszutricksen. Überzeugend klingt das nicht.
 


Samstag, 23. Juni 07

Wetterbericht: SW – W 3 – 4, einzelne Gewitterböen, strichweise diesig

Heute ist also der „Sankt Hans bål“ in Dänemark und der Wind steht durchaus günstig für „Bankog“ (O-Ton Bernd), wären da nicht die angekündigten Gewitterböen. Also los, löse ich zwar zögerlich aber immerhin die Leinen, doch zunächst muss ich meine Mängelliste in der Werft abliefern … dies ist aber eine andere Geschichte und die ist oben längst erzählt.

Um 1100 Uhr beginnt mein Einhandabenteuer mit dem Ablegen und mit durchaus gemischten Gefühlen. Ich brauche viel zu viel Platz um das Groß zu setzen und bin dabei so vorsichtig, fast zaghaft, aber dann läuft „Kalami“ und mit der Genua kommen wir langsam auf Kurs. Immerhin um die vier Knoten (boh ey!!!) und nach dem Passieren von Flügge liegt der Kurs auf Bagenkop an. Gegen 1400 Uhr flaut der Wind hier vollständig ab, während sich ein paar Meilen westlich ganz schön was zusammen braut. Auf das Gewitter will ich lieber nicht warten, also Segel runter, Maschine an und der Flautenschieber schnurrt mehr und mehr an der näher kommenden Wolkenwand vorbei ... alles Schiebung eben und hoffentlich reicht das. Trotzdem Ölzeug bereitlegen, Schwimmweste und Lifebelt an, die Funke auf Kanal 16 und nachher werde ich in Bagenkop auf Kay treffen, der von Damp kommend, gerade ganz tief drin steckt in dieser Böenwalze und sich wenig amused darüber zeigt. „Wir waren mittendrin, nur die kleine Fock hatte ich oben“, höre ich, „da ging wirklich die Post ab“ und Kay ist mit seiner 36er Dehler unterwegs, die gut was wegstecken kann.

Hier kommt eine Gewitterfront ...
    

es ist sonst niemand da ...
    

ich bin ganz allein!

Gegen 1500 Uhr ist klar, dass das Gewitter soeben achteraus durchzieht, dafür bin ich nun von der Berufsschifffahrt umzingelt. Von Langeweile keine Spur, denn nun kehrt auch der Wind mit 5 Bft. zurück. Schnell sind die Segel wieder oben und der Autopilot hält sauber seinen Kurs, St. Hans, wir kommen. Doch 1600 Uhr ist an dieser Ecke „Color Fantasy“ Zeit (www.colorline.de/colorfantasy) und dummerweise bin ich mit der Kiel – Oslofähre glatt auf Kollisionskurs. Ich nehme Fahrt weg, indem ich die Genua reffe, öffne das Groß, um zu signalisieren, ich sehe Dich, geh' bloß vor mir durch, doch die denken gar nicht dran, es ist wie verhext. Ich kann mich doch nicht in Luft auflösen und dass ich Wegerecht habe interessiert wenig bis gar nicht. 75.027 BRZ marschieren da auf den Einhandsegler los. Und diese „Color Fantasy“ gilt als größtes Kreuzfahrtschiff mit Autodeck und markiert damit den gegenwärtigen Höhepunkt der Kurzurlaub- Touristiksparte auf See, aber was meinste, was mich das im Moment interessiert. Vielleicht sind es jetzt noch zwei Meilen, das sind vier bis fünf Minuten … als endlich der Riese doch noch seinen Kurs leicht nach Steuerbord korrigiert. Ich bin durch. Aufatmen auf „Kalami“ und die Kamera raus (unten links).

"Color Fantasy"
    

Ganz schön schräg bei 5 Bft.

Der Rest ist schnell erzählt: Aus dem Fünfer wird bald ein Zweier und im Schutz der Hafenmole von Bagenkop berge ich die Segel, mache Fender und Leinen klar. Wie ein Lufthauch schiebt mich der neue Vetus Richtung Box und kommt ein Einhandsegler auch nur in die Nähe des Steges ist da garantiert jemand, der eine Leine übernimmt. Nur der Nachbar in der Box nebenan lässt seinen begnadeten Körper weiter genüsslich vor sich hindösen. Aber das ist doch Kay aus meinem früheren Segelclub Mardorf. Den hätten wir bei der Clubregatta auf dem Steinhuder Meer beinahe über den Haufen gefahren, weil sich unsere damalige „flexibel“ (Varianta 65) nicht mehr steuern ließ, zu viel "Kraut" am Ruder hatte das Boot manövrierunfähig gemacht.

"Der „Sankt Hans bål“ ist gleich hinter den Häusern am Strand", freut sich der Hafenmeister und knöpft mir 120 DK (etwa 17 €) havnepenge ab. Tatsächlich, das Feuer ist schon aufgeschichtet und obendrauf eine ausgesprochen sympathische "Hexe", die so gar nicht wie eine Hexe aussieht und sichtlich Mühe hat, die Achse des Bösen zu geben. Kein Mensch weit und breit und plötzlich: "Hey Seemann, hilf mir, nur du kannst mich noch befreien," flüstert die Hexe, "... wenn du magst, zeig' ich dir vielleicht sogar meine Tätowierung." Und dazu dieser Blick, "...los mach schnell, beeil dich, bitte." Was soll ein Einhandsegler da noch machen ...
    

Gegen 2030 Uhr strömen die Leute aus dem Dorf an den Strand. Bagenkop versammelt sich zum „Sankt Hans bål“, aber Livemusik, Spiel und Spaß für Groß und Klein, Würstchenbuden oder gar Bierausschank Fehlanzeige. Zweihundert Leute vielleicht, dazu die Dschungxx aus der Seemannschule und dann die Båltale, die Feuerrede. Eine Frau begrüßt die Bagenkoper zum Mittsommernachtstraum und immerhin verstehe ich mehrfach das Wort Tradition und Kultur, vom Blocksbjerg (Tanzplatz der Hexen auf dem Brocken) ist die Rede, aber gelacht wird hier nicht. Eine Feuerrede klingt anders, diese klingt eher nach Pflichtübung. Immerhin wird danach gesungen, na klar, das Lied des dänischen Dichters Holger Drachmann von 1885: „Wir lieben unser Land, jedoch am meisten zu Mittsommer.“ Leute, der Text saß auch schon mal besser, denkt der Einhandsegler, aber an deutschen Osterfeuern singt überhaupt keiner mehr (altes Lästermaul, das gern singt).
    

Noch während des Gesangs wird das Feuer entzündet und der "Hexe" wird es da oben schnell zu heiß. Unter großem Gejohle stürzt sie in die Flammen, für dieses Jahr ist das Böse besiegt ... glauben die Dänen*. Eigentlich könnte man jetzt erlöst nach Hause gehen und das tun die Bagenkoper denn auch, während ich die Hoffnung auf einen Bierwagen oder Livemusik noch nicht aufgeben mag. Stand dahinten nicht eine Frau mit einer Schweineorgel (Akkordeon)? Ja, aber inzwischen ist die auch schon weg. Das war's also? Schade. Ernüchtert trete ich den 300 m langen Heimweg an, gönne mir nun endlich den traditionellen Ankommenssherry und plausche mit Kay über das Segeln, tätowierte Frauen und das Frauen und Männer nicht so richtig zusammen passen, aber manchmal eben doch oder jedenfalls nicht für immer und für uns gilt das sowieso nicht. Wie schade, dass Anna, Brigitte und Claudia nicht dabei sind.

*... da ich, wie gesagt, zwei Stunden vor dem Feuer mit der "Achse des Bösen" allein war, muss sie mich wohl, hier sage ich lieber ... verzaubert haben. Jedenfalls haben wir dann so was wie eine Vogelscheuche auf das Feuer gestellt. Böse sah die nicht aus. Die tätowierte "Hexe" ist längst über alle Blocksbjerge oder nach Vineta? In diesem Jahr solltet ihr Bagenkop besser meiden.
 


Sonntag, 24. Juni 07

Wetterbericht: SW 3 – 4, etwas abnehmend, einzelne Gewitterböen

Zum Frühstück gönne ich mir eine Tischdecke, decke feierlich den Tisch und erinnere mich an die Rituale meiner berühmten Kollegen. Was habe ich die Törns von Wilfried Erdmann verschlungen oder den Pechvogel Gerd Engel, zuletzt Uwe Röttgering und nun bin ich selber Einhandsegler. Ja, das meine ich wirklich ernst, die haben doch auch alle mal mit einem Tagestörn angefangen, genau so wie ich heute um 0910 Uhr ablege. Ja und es läuft fantastisch und viel besser als gestern. Die Spannung von gestern hat sich wohl nach der Begegnung mit der "Hexe" aufgelöst. „Kalami“ düst jedenfalls stundenlang mit 6 Knoten auf Anliegerkurs und ich kuschele mich tief in die Plicht und fühle mich sooo wohl und sooo geborgen auf diesem Schiff wie nie zuvor. Nein, jetzt bloß keine Fotos für die homepage, dies ist unser Moment, einfach nur genießen.

Der Autopilot steuert zuverlässig seinen Kurs, nur in der Ferne ein paar „Mitläufer“ (für Einsteiger: Mitläufer sind Boote auf etwa demselben und damit nicht auf Kollisionskurs). Ein Großsegler, der wohl die Flucht von der Kieler Woche ergriffen hat, kreuzt auf und diesmal keine Berufsschifffahrt auf dem Kiel-Ostsee-Weg. Wusste gar nicht, dass die neuerdings Sonntags einen Parkplatz anlaufen müssen. Jedenfalls Entspannung pur und immer noch 6 Knoten Anlieger. Ein Traum und wirklich ganz intensive Gefühle.

Um 1330 Uhr „weckt“ mich der nachlassende Wind, die Wirklichkeit hat mich wieder – und da drüben Fehmarn und das da drüben? Ohje, heute zieht die Gewitterfront im Südwesten auf und als die Segel unten sind, der Wind auf 6 Bft. auffrischt, stehe ich zum Glück bereits bei Heiligenhafen Nord und klariere Fender und Festmacher, schließlich muss ich das Boot gleich wieder in der Werft abliefern. Diesmal läuft das Anlegemanöver nicht so glatt, hier ist niemand, der mir eine Leine abnimmt und die Pfähle sind so weit auseinander, aber um 1500 Uhr sind wir fest. Eine wunderbare Reise, die ersten 54 Meilen Einhand. Glückwunsch.